Health-Literacy und Diversity für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I – HeLi-D
Einrichtung: Universität Graz, Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft, Arbeitsbereich Integrationspädagogik und Heilpädagogische Psychologie
Zuständige Leiterin & Maßnahmenkoordinatorin: Univ.Prof. Dr. Barbara Gasteiger-Klicpera, barbara.gasteiger@uni-graz.at
Laufzeit: 1. Jänner 2018 bis 30. Juni 2021
Schwerpunkt: Gute Gesundheitsinformation (GGI)
Beschreibung
Das österreichische Bundesministerium für Bildung weist den Bereich Gesundheitserziehung als eines von zehn Unterrichtsprinzipien aus, die über die Grenzen einzelner Unterrichtsfächer hinaus in der schulischen Organisation berücksichtigt werden sollten. Dennoch zeigen Zahlen zur Gesundheitskompetenz österreichischer Schülerinnen/Schüler, dass rund 53% der 15-jährigen eine nicht ausreichende Gesundheitskompetenz in den Bereichen Krankheitsbewältigung, Prävention und Gesundheitsförderung aufweisen (Röthlin, Pelikan, & Ganahl, 2013).
Strategisches Ziel ist die nachhaltige Förderung der umfassenden Gesundheitskompetenz (kritisches Lesen und Denken, inklusive Medienkompetenz und literaler Kompetenz) aller Schülerinnen/Schüler der 6. und 7. Schulstufe – insbesondere auch jener mit Behinderungen und Migrationshintergrund – durch die Bereitstellung differenzierter, adaptiver und evaluierter Trainingsmaterialien, die ab dem Schuljahr 2020/2021 österreichweit im Unterricht in der Sekundarstufe I eingesetzt werden können.
Ausgangslage
Das österreichische Bundesministerium für Bildung weist den Bereich Gesundheitserziehung als eines von zehn Unterrichtsprinzipien aus, die über die Grenzen einzelner Unterrichtsfächer hinaus in der schulischen Organisation berücksichtigt werden sollten. Dennoch zeigen Zahlen zur Gesundheitskompetenz österreichischer Schülerinnen/Schüler, dass rund 53% der 15-jährigen eine nicht ausreichende Gesundheitskompetenz in den Bereichen Krankheitsbewältigung, Prävention und Gesundheitsförderung aufweisen (Röthlin, Pelikan, & Ganahl, 2013). Insbesondere Jugendliche aus Familien mit niedrigerem sozioökonomischem Status (SöS) verfügen über eine geringe Gesundheitskompetenz. Welche Auswirkungen mangelnde individuelle Gesundheitskompetenz auf das Gesundheitssystem haben kann, zeigen die Ergebnisse der European Health Literacy Survey (2012), in die Erwachsene aus acht europäischen Ländern, darunter Österreich, einbezogen wurden. Personen mit niedriger Gesundheitskompetenz nehmen deutlich häufiger Gesundheitsnotdienste, wie die Notaufnahme eines Krankenhauses, in Anspruch, konsumieren häufiger Alkohol und betätigen sich seltener sportlich. Darüber hinaus fühlten sie sich im Allgemeinen weniger gesund als Personen mit hoher Gesundheitskompetenz. Wiederum sind Personen mit niedrigem SöS und geringem Bildungsniveau überdurchschnittlich häufig in der Gruppe mit geringer Gesundheitskompetenz vertreten (HLS-EU Consortium, 2012). Um solchen Ergebnissen entgegenzuwirken und um gesundheitliche Chancengleichheit zu ermöglichen ist es notwendig, die Gesundheitskompetenz bereits bei Kindern und Jugendlichen zu fördern (Kickbusch, Pelikan, Haslbeck, Apfel, & Tsouros, 2016).
In dieser Altersgruppe eignen sich Schülerinnen/Schüler wesentliche Fähigkeiten an, die der Gesundheitskompetenz zugrunde liegen. Von entscheidender Bedeutung sind die Lesekompetenzen, besonders im Bereich des verstehenden Lesens, da Gesundheitskompetenz in weiten Teilen das Verstehen und Beurteilen von schriftlichen Gesundheitsinformationen betrifft (Sørensen et al., 2012). Zudem kommt der Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien eine bedeutende Rolle zu. Gesundheitsinformationen werden immer mehr aus dem Internet bezogen; eine kritische Sichtweise der im Internet verfügbaren Informationen erwerben Jugendliche jedoch kaum, da der Bereich Medienkompetenz im Allgemeinen in Österreich bisher zu wenig Beachtung erfährt, obwohl österreichische Jugendliche der Behandlung dieses Themas im Schulunterricht sehr positiv gegenüber stehen. Dies zeigt eine Studie der Bundesjugendvertretung (BJV, 2017). Für eine nachhaltige und zielgerichtete Förderung der Gesundheitskompetenz von Jugendlichen ist es notwendig, sowohl Lesekompetenz als auch Medienkompetenz (digital literacy) zu fördern. Dies bezieht sich insbesondere auf ein kritisches und reflektiertes Verständnis von Informationen.
Um darüber hinaus zu mehr gesundheitlicher Chancengleichheit beizutragen, muss eine entsprechende Förderung die heterogenen Ausgangsbedingungen der Jugendlichen berücksichtigen. Besonders wichtig ist hier das Einbeziehen unterschiedlicher Diversitätskategorien wie Migrationshintergrund und/oder Behinderungen. An diesem Punkt wird das geplante Projekt ansetzen, indem ein ADT (adaptives digitales Trainingsprogramm) entwickelt wird, das sich auf Muttersprache und Lesekompetenz der Schülerinnen/Schüler einstellt.
Zielsetzung
Strategische Ziele:
Strategisches Ziel ist die nachhaltige Förderung der umfassenden Gesundheitskompetenz (kritisches Lesen und Denken, inklusive Medienkompetenz und literaler Kompetenz) aller Schülerinnen/Schüler der 6. und 7. Schulstufe – insbesondere auch jener mit Behinderungen und Migrationshintergrund – durch die Bereitstellung differenzierter, adaptiver und evaluierter Trainingsmaterialien, die ab dem Schuljahr 2020/2021 österreichweit im Unterricht in der Sekundarstufe I eingesetzt werden können. Dieses Ziel wird in drei Projektphasen umgesetzt.
Operative Ziele:
Projektphase 1:Konzeption der Materialien und Umsetzung des ADT
Gemeinsam mit Vertreterinnen/Vertreter der Zielgruppe sowie Studierenden und Angehörigen der Medizinischen Universität Graz werden die Materialien zur Förderung der Gesundheitskompetenz im Rahmen von vier Workshops konzipiert. Die Workshops finden im Frühjahr 2018 statt. Die Ergebnisse bilden die Grundlage für das adaptive digitale Trainingsprogramm (ADT).
Basierend auf den Ergebnissen aus den Workshops wird das ADT durch MitarbeiterInnen des Know-Centers Graz und unter Begleitung durch Projektmitarbeiterinnen/-mitarbeiter der KFU bis Ende Jänner 2019 umgesetzt. Das ADT besteht aus zwei Komponenten: (1) ein serviceorientiertes Back-end, das sich um die Datenhaltung, Datenbereitstellung sowie die Analyse von Lernaktivitäten im Sinne von Learning Analytics kümmert, und (2) eine adaptive HTML5 Benutzeroberfläche entwickelt, die gleichermaßen auf Tablets und Monitoren angezeigt werden kann.
Projektphase 2: Implementierung des ADT in den Schulen, Evaluierung der Implementierung
Das Programm durchläuft im Nov. 2018 eine Testphase in einer Schule und wird anschließend adaptiert, um Ende Februar 2019 für den Einsatz in der Interventionsstudie zur Verfügung zu stehen.
Es werden 10-12 Schulen für die Mitarbeit in dem Projekt gewonnen. 7-9 Schulen nehmen an der Interventionsgruppe teil, 3-4 Schulen fungieren als Vergleichsgruppe.
Für die Evaluierung werden im Okt. 2018 die vorhandenen Instrumente überprüft, übersetzt und validiert.
Im Nov. 2018 Pilotierung der Untersuchungsinstrumente mit etwa 100 Schülerinnen/Schüler; Item-Analyse, Überprüfung der psychometrischen Gütekriterien und eventuelle Item-Anpassung.
Ab Februar 2019 stehen die Untersuchungsinstrumente für die Begleituntersuchung zur Verfügung.
Im März erfolgt die Prätestung in den Interventions- und Vergleichsschulen.
Im April-Mai 2019 wird das Programm in Kooperation mit den Interventionsschulen über zwei Monate hinweg im Unterricht eingesetzt.
Im Juni 2019 erfolgt die Postmessung in den Interventions- und Vergleichsschulen.
Die Wirkung der Maßnahme wird Ende 2019 anhand der Daten aus Prä- und Post-Test der Interventions- und Vergleichsgruppen überprüft. Dazu liegt eine Publikation/ein Bericht vor.
Projektphase 3: Publikation und Dissemination der Ergebnisse
Im Frühjahr 2020 werden die Trainingsmaterialien publiziert oder im Internet für die Verwendung im Unterricht zur Verfügung gestellt.
Im Jahr 2020 werden die Trainingsmaterialien bei Tagungen und Symposien sowie bei Lehrerfortbildungen in Zusammenarbeit mit den pädagogischen Hochschulen vorgestellt.
Ab dem Jahr 2020 wird das Trainingsprogramm in den Ausbildungs-Curricula der relevanten BA Lehramt Sekundarstufe, wie z.B.
Methodik
Das geplante Projekt ist in 3 Phasen unterteilt: Planungs- und Entwicklungsphase (Phase 1); Interventionsphase (Phase 2); Auswertungs- und Disseminationsphase (Phase 3)
In der 1. Phase (Jänner 2018 bis Jänner2019) sollen zunächst die Inhalte, die vermittelt werden, spezifiziert werden. Dies wird gemeinsam mit Expertinnen/Experten von der Med Uni Graz geschehen. Ziel ist es, ausgewählte Themengebiete aus dem Gesundheits- und Krankheitsbereich (z. B. Immunsystem und Impfen bzw. Infektionskrankheiten, Körperzellen und Krebs…) unter interdisziplinären Gesichtspunkten (medizinische/biologische Dimension, soziale/demografische Dimension, kulturelle Dimension, Dimension der Informationsbeschaffung und -güte) zu erarbeiten. Zudem wird auf die Vermittlung von Kritischem Lesen und Kritischem Denken geachtet. Auf dieses inhaltliche Umreißen der Themen folgt die konkrete Konzeption, die mit einer Gruppe Jugendlicher zwischen 12 und 14 Jahren in Workshops erarbeitet wird. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass die Inhalte der Zielgruppe später in einer für sie ansprechenden Weise vermittelt werden können. Die Textelemente der Trainingsmaterialien werden auf Basis der Erkenntnisse der Leseforschung gestaltet. Gemeinsam mit dem Know-Center wird auf der Basis dieser Textelemente ein adaptives digitales Trainingsprogramm entwickelt. Bei dieser computergestützten Version der Materialien, deren Basisversion auf Deutsch ist, werden Schlüsselbegriffe bzw. –abschnitte zusätzlich in den sieben von steirischen Schülerinnen/Schülern am häufigsten gesprochenen nicht-deutschen Erstsprachen (Albanisch, B/K/S, Türkisch, Tschetschenisch, Arabisch, Kurdisch und Rumänisch) und in vier sprachlichen Komplexitätsstufen implementiert. In dieser ersten Phase finden die Programmierung des ADT, sowie die Entwicklung der Evaluationsinstrumente und eine Testphase statt.
Die 2. Phase (Februar 2019 bis Juni 2019) beginnt mit einer Prä-Testung, bei der in den Versuchs- und Kontrollklassen die Gesundheitskompetenz, die Lesekompetenz sowie die Medienkompetenz der Schülerinnen/Schüler mittels standardisierter Tests und selbst entwickelter und adaptierter Skalen und Fragebögen erhoben werden. Zusätzlich werden Daten zum soziokulturellen bzw. demografischen Hintergrund der Schülerinnen/Schüler erhoben. Danach findet in den Interventionsklassen eine zweimonatige Interventionsphase statt, während der die Schülerinnen/Schüler fächerübergreifend mit den Materialien arbeiten. Anschließend werden die zu Beginn erhobenen Kompetenzen erneut getestet.
Die 3. Phase (Herbst 2019 – Herbst 2020) beinhaltet die Auswertung der erhobenen Daten und die Dissemination. Die Auswertung der erhobenen Daten erfolgt mit quantitativen Analysemethoden. Die Ergebnisse sollen in internationalen Journals publiziert sowie auf Kongressen präsentiert werden. Die entwickelten Trainingsmaterialien werden ebenfalls veröffentlicht und u. a. über die Kooperationspartnerin STGKK bekannt gemacht. Am Ende soll den Lehrpersonen ein wirklich inklusives Unterrichtsmaterial zur Förderung der Gesundheitskompetenz zur Verfügung stehen, das sowohl Menschen mit Behinderung als auch Menschen mit unterschiedlichen sprachlichen Hintergründen zugänglich ist. In Kooperation mit den pädagogischen Hochschulen werden die Materialien im Rahmen von Fortbildungen bekannt gemacht und ihre Implementierung vorgestellt, sodass sie von den Lehrpersonen im regulären Unterricht eingesetzt werden können.
Beitrag zum Wirkungsziel 2
Die Ergebnisse von Studien zur individuellen Gesundheitskompetenz deuten darauf hin, dass Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Hintergrund und/oder Migrationshintergrund niedrigere Gesundheitskompetenzen aufweisen und daher benachteiligt sind (HLS-EU, 2012; HBSC, 2014). Sucht man nach Erkenntnissen zur Gesundheitskompetenz von Personen mit Behinderungen, dann fällt auf, dass diese rar sind und jene, die vorhanden sind, beziehen sich meist auf ältere Menschen. Menschen mit Behinderungen gehören jedoch ebenso wie Menschen mit Migrationshintergrund zu den sogenannten vulnerablen Gruppen, die bezüglich ihrer Gesundheitskompetenz sowie ihrer Beteiligung und ihrer Chancen im Bereich Gesundheit benachteiligt sind.
Es fehlt aber an Programmen, die sich der Verbesserung gesundheitlicher Chancengleichheit intensiv widmen. Meist werden marginalisierte Gruppen kaum oder gar nicht adressiert und wenn doch, dann beziehen sich die Maßnahmen in der Regel auf Erwachsene. Gerade die Förderung der Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen unter Berücksichtigung von heterogenen Ausgangsbedingungen ist ein zentrales Ziel des vorliegenden Projektes und ein Schritt auf dem Weg zu mehr gesundheitlicher Chancengleichheit. Ziel von HeLi-D ist es, die individuelle Gesundheitskompetenz von steirischen Schülerinnen/Schüler der Sekundarstufe I mit hohem Diversitätsgrad umfassend und differenziert zu fördern. Das bedeutet, dass insbesondere die Fähigkeiten der Jugendlichen im Hinblick auf das Auffinden, kritische Lesen und Bewerten von Gesundheitsinformationen sowie ihr gesundheitsrelevantes Wissen vor allem in den Bereichen Prävention, Gesundheitsförderung und Krankheitsbewältigung gefördert werden. Um dieses Ziel zu erreichen und dabei potenziell alle Schülerinnen/Schüler der Altersgruppe einzubeziehen, werden differenzierte Trainingsmaterialien bzw. ein adaptives digitales Trainingsprogramm entwickelt, die den individuellen Ausgangsbedingungen der Schülerinnen/Schüler Rechnung tragen und es ermöglichen, dass alle Schülerinnen/Schüler einer Klasse an ein und demselben Gegenstand lernen können. Nur dieses gemeinsame Lernen und kritische Diskutieren von Inhalten ermöglicht ein „voneinander Lernen“ und nur auf diese Weise ist eine Teilhabe aller Schülerinnen/Schüler, unabhängig von sprachlichen Kompetenzen, Behinderungen oder sozialen Bedingungen, möglich.
Die im ADT umgesetzten differenzierten und individualisierten Materialien werden nach der Durchführung des Projektes allen Schulen in der Steiermark und im gesamten Bundesgebiet zur Verfügung stehen.