Barrierefreie Gesundheitsinformationen für gehörlose Menschen in Wien
Einrichtung: Marien Apotheke Wien, Mag.a pharm. Karin Simonitsch e.U.
Zuständige Leiterin: Mag.a pharm. Karin Simonitsch
Maßnahmenkoordinatorin: Mag.a phil. Cornelia Zacek, zacek@marienapo.eu
Laufzeit: ab 1. Jänner 2014, laufend
Schwerpunkte: Gute Gesundheitsinformation (GGI), Gute Gesprächsqualität im Gesundheitssystem (GGQ)
Wirkungsbereich: Wien
Beschreibung
Wichtigstes Ziel des Projekts ist es, für gehörlose Menschen einen niederschwelligen Zugang zum Gesundheitssektor zu schaffen und die Gesundheitskompetenz der gehörlosen Bevölkerung zu stärken. Darüber hinaus soll die Marien Apotheke zu einem professionellen Gesundheitsforum für gehörlose Menschen werden. Das bedeutet, dass gehörlosen Wienerinnen und Wienern die Möglichkeit gegeben werden soll, umfassende Beratung und Informationen in Österreichischer Gebärdensprache zu erhalten, um selbstbestimmter über gesundheitliche Maßnahmen entscheiden zu können. Als eine solche Anlaufstelle wollen wir mittelfristig auch Ärztinnen und Ärzte aus dem Bezirk in ein gemeinsames Netzwerk einbinden.
Ausgangslage
In Österreich leben 8.000 – 10.000 gehörlose Menschen, etwa die Hälfte davon in Wien. Aus verschiedenen Gründen können Gehörlose sehr schlecht oder nur in dringenden Fällen am Gesundheitssystem teilnehmen. Nicht nur, dass es für sie große Anstrengung und Unsicherheit bedeutet, ständig von den Lippen lesen zu müssen, sie verstehen auch die Schriftsprache oft nicht sehr gut. Denn Deutsch ist für sie eine Fremdsprache – die Gebärdensprache ist ihre Muttersprache. Wer zum Beispiel von Geburt an gehörlos ist, wird die Lautsprache nur sehr schwer erlernen – er kann ja nicht hören, wie ein Wort ausgesprochen wird. Ebenso verhält es sich mit der schriftlichen Kommunikation. Diese Umstände führen zu einer Reihe von Handicaps, die in Beruf und Alltag meist sehr gut bewältigt werden können.
Geht es aber um gesundheitliche Probleme, kommen zusätzliche Faktoren hinzu, die die Kommunikation erschweren: In ganz Wien gibt es nur einen Arzt, der die Gebärdensprache gut beherrscht. Für eine gehörlose Person ist es aber enorm schwierig, die eigenen Symptome in Lautsprache zu schildern, die Ärztin oder der Arzt wiederum muss sich sehr viel Zeit nehmen, um das Krankheitsbild verständlich zu machen. Oft endet es damit, dass die Patientin oder der Patient nicht weiß, was ihr oder ihm fehlt oder warum ihr oder ihm ein bestimmtes Medikament verschrieben wurde. Nicht viele Arztbesuche lassen sich im Voraus so planen, dass Dolmetscherinnen/Dolmetscher mitgenommen werden können. Gehörlose Menschen haben aufgrund dieser Barrieren auch wenig Möglichkeit, präventive Maßnahmen zu treffen und selbstbestimmte Entscheidungen, die die eigene Gesundheit betreffen, zu fällen.
Die Marien Apotheke im 6. Wiener Gemeindebezirk beschäftigt drei gehörlose Menschen, unter anderem den ersten gehörlosen Apotheker, der auch in der Kunden-Beratung tätig ist. Diese Beratungsmöglichkeit in Gebärdensprache durch einen gehörlosen Apotheker ist einzigartig in ganz Europa.
Methodik
- Die Marien Apotheke hat gemeinsam mit dem gehörlosen Apotheker Mag. pharm. Sreco Dolanc seit Beginn des Jahres 2015 bereits über 40 Videos in Gebärdensprache zu verschiedenen Gesundheitsthemen, wie Impfungen, Verhütung, Grippe oder Sonnenschutz produziert. Derzeit werden etwa 10 Videos pro Jahr gedreht. Diese sind auf der Homepage der Marien Apotheke sowie auf dem YouTube-Kanal der Marien Apotheke öffentlich abrufbar. Zudem werden neue Videos regelmäßig auf der Facebook-Seite der Marien Apotheke verbreitet und in weiterer Folge von den Gehörlosenverbänden geteilt. Damit auch hörende Personen einen Nutzen aus den kompakten Gesundheitsinformationen ziehen können, werden alle Videos mit Untertiteln versehen.
- Die Aufklärung über die Erhaltung und Stärkung der psychischen Gesundheit, ist ebenfalls wesentlicher Faktor zur Stärkung der Gesundheitskompetenz. Zu diesem Zweck hat die Marien Apotheke die beiden Psychotherapeutinnen Dr. Liv Zaslawski und Stephanie Häfele-Hausmann, die beide auch Gebärdensprachdolmetscherinnen sind, eingeladen, um gemeinsam eine eigene Videoserie zum Thema „Psychische Gesundheit“ zu gestalten. Als geeignetes Format wurde die Interviewform gewählt, um die – teils sehr komplexen Themen – einfach und gut darstellen zu können. Mag. Sreco Dolanc und je eine der Psychotherapeutinnen haben auf diese Weise bereits viele Themen in eigenen Gebärdensprachvideos behandelt. Seit Herbst 2017 wurden bereits mehr als 10 solcher Videos gedreht – unter anderem zu den Themen „Was ist psychische Gesundheit?“, „Depression“, „Suizidgefahr“, „Burn-Out“ oder „Mobbing“. Die Videos werden über die Facebook-Seite der Marien Apotheke, auf dem YouTube-Kanal der Marien Apotheke sowie von den Psychotherapeutinnen selbst verbreitet. Das Gehörlosen-Schulungszentrum equalizent, das viele gehörlose Jugendliche in Kursen betreut, sowie der Gehörlosen-Verein WITAF teilen diese Videos regelmäßig auf ihren Facebook-Seiten.
- Seit 2017 werden auch auf dem Nachrichtenportal gebaerdenwelt.tv, das vom Österreichischen Gehörlosenbund betrieben wird und Nachrichten in Form von ÖGS-Videos produziert, regelmäßig Gesundheitstipps von Mag. pharm. Sreco Dolanc veröffentlicht. Die Tipps werden passend zur Saison konzipiert (zB. Tipps für Hausmittel bei Erkältung oder Tipps zum Sonnenschutz) und als kurzes ÖGS-Video mit Begleittext (unter dem Video) auf www.gebaerdenwelt.tv verbreitet. Auf diese Art kann eine noch breitere Zielgruppe erreicht werden.
- Um auch ältere gehörlose Personen erreichen zu können, die möglicherweise keinen Zugang zum Internet oder keine Nutzungskompetenz haben, hält Mag. pharm. Sreco Dolanc seit Beginn 2015 regelmäßig, nämlich einmal pro Monat, Info-Vorträge zu Gesundheitsthemen im Rahmen des Seniorentreffs beim Gehörlosen-Verein WITAF. Die Themen der Vorträge werden gemeinsam mit der Leitung des Seniorentreffs bzw. auch mit den Mitgliedern des Vereins festgelegt.
- Die Bekanntheit der Marien Apotheke und vor allem das große Vertrauen, das Mag. pharm. Sreco Dolanc von der Gehörlosen-Community entgegen gebracht wird, haben auch dazu geführt, dass Vorträge aus anderen Bundesländern oder für andere Zielgruppen nachgefragt Dadurch hat Mag. Dolanc bereits auch etwa beim Niederösterreichischen Gehörlosenverband, beim Vernetzungstreffen der österreichischen Taubblinden-Community in Linz sowie beim Bayrischen Gehörlosen-Gesundheitstag Vorträge gehalten. Regelmäßig ist die Marien Apotheke auch bei Community-Veranstaltungen wie dem Wiener BiGeKu (Bildung-Gesundheit-Kultur)-Tag für Gehörlose vertreten.
- Der monatliche Newsletter der Marien Apotheke ist seit Jänner 2015 zweisprachig: Zu jedem Newsletter wird ein Video in Gebärdensprache produziert, das direkt im Newsletter abrufbar ist und nach Versand auf dem YouTube-Kanal der Marien Apotheke veröffentlicht wird.
Beitrag zum Wirkungsziel 2
Die Maßnahmen der Marien Apotheke tragen zum Wirkungsziel 2 bei, da sie geeignet sind, die persönliche Gesundheitskompetenz gehörloser Menschen zu stärken. Gehörlose Menschen haben aufgrund der Sprachbarriere oft wenig Möglichkeit, sich aktiv über Gesundheitsthemen zu informieren. Nur einzelne Inhalte sind auch in Gebärdensprache verfügbar. Die Gesundheitsvideos in Österreichischer Gebärdensprache von der Marien Apotheke werden nicht nur öffentlich zugänglich gemacht, sondern auch aktiv an Gehörlosenverbände geschickt. Zudem bieten die regelmäßigen Vorträge zu Gesundheitsthemen gehörlosen Menschen die Möglichkeit, (Nach-)Fragen zu stellen. Die persönliche Beratung in der Apotheke in Gebärdensprache bietet einen niederschwelligen Zugang zu einer Peer-Person als Experten: Da Mag. Dolanc selbst gehörlos ist, ist die Gebärdensprache seine Muttersprache und er ist in der Gehörlosenkultur aufgewachsen. Missverständnisse, die beim Arztgespräch ohne Dolmetscherinnen/Dolmetscher auftreten können, können im Beratungsgespräch in ÖGS in der Apotheke häufig ausgeräumt werden. Das Wissen über Neben- und Wechselwirkungen, sowie die Aufklärung, wie das Medikament wirkt oder auch in welchem Rahmen man sich selbst behandeln kann, können die Gesundheitskompetenz der Betroffenen zusätzlich stärken.